Sonntag, 11. September 2011

Sadhana - Morgenstund hat Blei im Hund (aus Yoga Aktuell No. 70)

Der frühe Vogel fängt den Wurm, sagt man. Womit man andeuten möchte, dass es sich lohnt, früh aufzustehen. Dabei fragt nie einer, was es eigentlich dem Wurm gebracht hat, so früh aufzustehen. Nicht viel, oder? Wie dem auch sei. Einem Yogi empfiehlt man jedenfalls ähnlich früh wie ein Vogel aufzustehen. Soweit ich weiss aber weniger um Würmer zu fressen, sondern um Yoga zu machen. Ein Yogi muss nämlich Yoga machen. Logisch. Sonst wäre er ja auch kein Yogi. Sondern Bäcker. Oder Fleischwarenfachverkäuferin.
Grundsätzlich ist natürlich nichts gegen eine tägliche Yoga-Praxis, ein sogenanntes Sadhana, einzuwenden. Im Gegenteil. Am effektivsten ist der "Hund" nunmal wenn man ihn täglich übt. Aber die Frage muss erlaubt sein, warum so mancher Yogameister darauf pocht ihn in aller Herrgottsfrühe zu üben. Yogi Bhajan, der Meister des Kundalini Yoga zum Beispiel, bestand zeitlebens auf halb vier als optimale Zeit für den Beginn eines kompletten Sadhana. Und damit meinte er ausdrücklich nicht den späten Nachmittag.
Halb vier morgens - das muss man sich mal vorstellen! Um die Zeit kommen am Wochenende manche gerade erst nach Hause. Und deren Gedanken kreisen dann eher weniger um Sadhana, sondern um Sandra*.
Aber egal! Ich persönlich habe jedenfalls kein Problem damit früh aufzustehen und mein Yoga Programm zu machen. Und wollen Sie wissen, wie ich es schaffe, jeden Tag aufs neue meinen inneren Schweinehund zu überwinden? Ich verrat´s Ihnen und sage nur ein einziges Wort: Eiserne Disziplin. Gut, das sind zwei Worte, aber Sie wissen, was ich meine. Ja, genau, ich bin ein Disziplin-Fanatiker! Jeden Abend stelle ich den Wecker auf 3:30 Uhr, springe morgens beim ersten Klingeln sofort aus dem Bett und beginne mein Yoga Programm. Das heisst, meistens bleibe ich nach dem ersten Klingeln noch ein kleines bisschen liegen, und den Wecker stelle ich abends auf 8:30 Uhr statt auf 3:30 Uhr, und auf das morgendliche Yoga Programm verzichte ich ganz. Aber der Rest stimmt.
Also gut, jetzt mal im Ernst: Eine zeitlang habe ich wirklich versucht um halb vier aufzustehen. Dabei kam es, kurz nach dem ersten Klingeln des Weckers, immer zu ein und demselben Dialog. Ein Dialog zwischen mir und einem bemerkenswerten Wesen namens "Unterbewusstsein". Der Dialog ging ziemlich genau so:
UB (Unterbewusstsein): "He, Schlafmütze! Zeit für dein Sadhana!"
Ich: "Santana?"
UB: "Nun mach schon. Du bist spät dran."
Ich: "Wie kann ich spät dran sein, es ist mitten in der Nacht?!"
UB: "Es ist halb vier."
Ich: "Mitten in der Nacht!"
UB: "Ach komm, jetzt lass dich nicht so bitten, ich will doch nur dein Bestes."
Ich: "Du willst nur mein Bestes?"
UB: "Ja..."
Ich: "Dann lass mich schlafen!"
Hier endete der Dialog meistens. Und ich begann in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu versinken, in dem ich einen Traum nach dem anderen hatte...
Dem Träumen wird von vielen Psychologen übrigens eine grosse Bedeutung beigemessen - ebenso wie dem Unterbewusstsein. Die Psychologen behaupten sogar, dass das Unterbewusstsein einen enorm grossen Einfluss auf unser Ich-Bewusstsein hat. Auf mich scheint diese Theorie allerdings nicht zuzutreffen. Zumindest nicht morgens um halb vier.
Womit für mich persönlich auch klar ist - und darüber freue ich mich wirklich sehr - als welches Wesen ich vermutlich im nächsten Leben nicht wiedergeboren werde: als Wurm. Immerhin etwas.

*Okay, wer Sandra kennt, hat dafür vollstes Verständnis...

Freitag, 8. Juli 2011

Fitness Studio Yoga - Fantasanas im Ruhrpott (aus Yoga Aktuell No. 69)

Was machen eigentlich Menschen, um sich selbst zu verwirklichen? Richtig, sie melden sich für einen Marathon, den nächsten "Ironman" oder für die nächste Bundeskanzlerwahl an. Das alles, gähn, kennt man ja. Weit weniger bekannt ist, dass immer mehr Menschen auf ihrem Weg zur Selbstverwirklichung auf diese gängigen Methoden verzichten und stattdessen lieber zum Äußersten gehen: in einen Yogakurs nämlich. Oder noch extremer: in eine Yogalehrer-Ausbildung.
   Zumindest habe ich das vor ein paar Jahren gemacht. Und ich schäme mich bis heute nicht dafür. Warum auch? Gut, die Selbstverwirklichung lässt nach wie vor auf sich warten, aber ich bin durch die Yogalehrer-Ausbildung ein bisschen gelenkiger geworden, immerhin.
Mittlerweile bin ich sogar hauptberuflich als Yogalehrer tätig. Dabei unterrichte ich vorzugsweise in Fitness-Studios im Ruhrgebiet. Ja, Sie haben richtig gelesen: im Ruhrgebiet. Meine Berufskollegen aus Berlin und München verziehen bei der bloßen Erwähnung dieses Landteils zwar angewidert ihr Veganergesicht und tun so, als wäre das ein Widerspruch in sich - Yoga im Pott. Vergleichbar etwa mit "Viagra in Gott" oder "Burka für Klopp". Aber über solche oder ähnlich geäußerte Nickligkeiten höre ich staatsmännisch hinweg.
   Zur Zeit unterrichte ich übrigens sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene. Wobei beide Schwierigkeitsgrade von den Teilnehmern gut angenommen werden. Aber vor allem die Fortgeschrittenenkurse sind oft bis auf den letzten Quadratmillimeter gefüllt - mit Anfängern. Dazu muss man sagen, dass die Kursteilnehmer von Fitness-Studios sich selten nach Können auf die Kurse verteilen. Sondern nach etwas gänzlich anderem, wie zum Beispiel Lust und Laune. Oder nach Luftfeuchtigkeit. Oder nach...ich weiß es nicht. Jedenfalls nicht nach Können.
   Folglich kämpft sich so mancher Yoga-Novize - wahrscheinlich beflügelt von dem olympischen Gedanken: "Dabei sein ist alles" - durch die fortgeschrittensten Asanas. Oder wie ich sie nenne: Fantasanas. Denn von "Asanas" kann, bei aller Liebe, nicht die Rede sein. Es ist zwar deutlich beim Kursteilnehmer zu erkennen, dass der Wille, das Asana korrekt auszuführen, absolut vorhanden ist. Was dabei letzten Endes aber herauskommt, ist - um es einmal vorsichtig zu formulieren - Kacke.
   Ach, Sie meinen, da gehe ich zu hart mit meinen Teilnehmern ins Gericht? Okay, wie Sie wollen. Dann gebe ich Ihnen jetzt mal ein Beispiel für ein typisches Fantasana, und anschließend nehme ich gerne Ihre Entschuldigung entgegen. Aber erst das Fantasana. Sind Sie bereit? Dann los:
   Der Kursteilnehmer steht aufrecht mit beiden Füßen fest auf dem Boden, der Oberkörper ist etwas zur Seite geneigt, und die Arme wirbeln unkontrolliert, so als wolle er eine besonders aggressive Killerwespe verscheuchen, in der Luft herum, während ich - und jetzt kommt´s - den Kopfstand anleite... Noch Fragen? Danke, Entschuldigung angenommen!
   Gut, zugegeben: Yoga, und insbesondere fortgeschrittener Yoga, ist mitunter ganz schön schwer. Und das sage ich vor jeder Kursstunde auch immer den Neulingen. Umso überraschter bin ich allerdings, wenn einer von den Neulingen nach der Stunde mit hochrotem Kopf und schweißdurchtränkten Klamotten auf allen vieren zu mir nach vorne gekrochen kommt und röchelt: "Also weißte, so schwer war dat doch gar nich´."
   Andererseits, glaube ich, zeichnet eben gerade das den Ruhrpott-Yogi aus. Er hält durch, auch wenn es mal schwieriger wird. Dementsprechend regelmäßig besuchen die Ruhrpöttler ja auch meine Kurse. Manchmal sogar mit nur wenigen Monaten Unterbrechung...
   Wenn ich jedoch - weiß der Himmel warum - frage, weshalb sie sich ein paar Monate nicht haben blicken lassen, kommt es zu etwas sehr Bedenkenswertem: zum Dialog. Aber lesen sie selbst:
   Ich:  "Sag mal, warum warst du denn ein halbes Jahr nicht beim Unterricht?"
   RP (Ruhrpöttler):  "Wegen dem Schnee."
   Ich:  "Welcher Schnee?"
   RP:  "Na, im Januar hat et doch geschneit. Da setz ich mich doch nit in et Auto!"
   Ich:  "Es ist August."
   RP:  "Ja und?"
   Ja und da hat der RP dem YL (Yogalehrer) etwas voraus. Er setzt sich total selbstbewusst über Nichtigkeiten wie Raum und Zeit hinweg und befindet sich dadurch ganz im Hier und Jetzt. Da kann der YL vom RP auf dem Weg zur Selbstverwirklichung eine Menge lernen. Zumindest alle paar Monate. Falls et nit schneit...